Internet Source: SonntagsZeitung, Innovation 99, October 1 2000
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Von Alexandra Rigos
Amerikanische Anthropologen sollen Yanomami-Indianer absichtlich mit Masernviren infiziert haben
Kaum ein Naturvolk hat es zu so viel Prominenz gebracht wie die Yanomami -Indianer im Grenzgebiet von Brasilien und Venezuela. Ihr Schicksal steht symbolhaft fuer die Zerstoerung des Amazonas-Urwalds, ihretwegen schipperte der deutsche Abenteurer Ruediger Nehberg einhand ueber den Atlantik - um anzuprangern, wie der Lebensraum der Indianer von Holzfaellern zerstueckelt wird und vergiftet von Goldgraebern, wie ihre Rechte missachtet werden von korrupten Beamten.
Nun scheint es, als wuerden sich in die Riege der Yanomami-Gegner neue, unerwartete Feinde einreihen: Wissenschaftler. Amerikanische Anthropologen unter der Leitung des kuerzlich verstorbenen Humangenetikers James Neel sollen die Indianer absichtlich mit einem Masernvirus infiziert und damit Hunderte, wenn nicht Tausende, getoetet haben.
Das behauptet der US-Journalist Patrick Tierney in seinem Buch "Darkness in El Dorado". Noch ist das Werk nicht auf dem Markt, und vor dem Erscheinungstermin Mitte November will der Autor zu den Vorwuerfen nicht Stellung nehmen. Trotzdem streiten die Anthropologen schon jetzt erbittert, das Ansehen des Berufsstands steht auf dem Spiel. "Wir sind extrem besorgt", verkuendete die American Anthropological Association. Theodor Rathgeber von der Goettinger Gesellschaft fuer bedrohte Voelker fordert: "Sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten, gehoeren die Verantwortlichen wegen Voelkermords vor Gericht." Neels Mitarbeiter Napoleon Chagnon empoert sich hingegen: "Das Buch ist nur Teil einer langen Vendetta gegen mich."
Was bislang von Tierneys Recherchen bekannt wurde, klingt verworren: Neel, Chagnon und einige andere Forscher waren 1968 im Auftrag der US -Atomenergiekommission (AEC) unterwegs im Urwald Venezuelas, um die Auswirkungen radioaktiver Strahlung auf Menschen zu erforschen. Offenbar sollten die isoliert lebenden Yanomami als unbelastete Vergleichsgruppe dienen. Neel hatte schon nach dem Zweiten Weltkrieg fuer die AEC die Ueberlebenden von Hiroshima und Nagasaki untersucht.
Warum Neels Team die Yanomami jedoch gegen Masern impfte, ist bis heute unklar. Wollte es die Indianer schlicht vor den Krankheiten der naeher rueckenden Zivilisation schuetzen, gegen die die Ureinwohner keinerlei Widerstandskraefte besassen? Dann allerdings muessen die Forscher sich die Frage gefallen lassen, warum sie die Vakzine Edmonston B verwendeten. Dieser veraltete Impfstoff enthielt aktive Viren, und die WHO riet seit 1965 zu Vorsicht bei seinem Einsatz. Ihn einem gegen Infektionen besonders anfaelligen Volk zu verabreichen, mutet zumindest grob fahrlaessig an - auch wenn manche Mediziner bezweifeln, dass der Impfstoff viele Menschen getoetet haben kann.
Ein Verbrechen haette Neel begangen, traefe der Erklaerungsversuch seines Kollegen Terence Turner von der Cornell-Universitaet zu: Neel habe an ein "Fuehrer-Gen" geglaubt, eine Anlage fuer soziale Dominanz, deren maennliche Traeger wegen ihres groesseren Erfolgs bei Frauen einen Selektionsvorteil geniessen. Eine isolierte Gruppe wie die Yanomami waere geeignet, diese laut Turner "faschistisch-eugenische" Hypothese zu pruefen. Wollte Neel beobachten, ob Haeuptlinge die Krankheit besser ueberwinden konnten? Angeblich durften auf seine Anweisung die erkrankten Indianer nicht medizinisch behandelt werden.
Wissenschaftliche Grabenkaempfe heizen die Kontroverse an "Hexenjagd", urteilt der Anthropologe David Glenn Smith von der Universitaet von Kalifornien, ein langjaehriger Bekannter Neels. "Da ist wohl Polemik im Spiel", drueckt sich vorsichtiger die deutsche Kulturanthropologin Gabriele Herzog-Schoefer aus, die seit 1983 die Yanomami studiert und sich in ihrer Dissertation mit Chagnon beschaeftigt: "Ich halte nichts von seinem krass biologistischen Ansatz."
Denn anscheinend heizen wissenschaftliche Grabenkaempfe die Impfkontroverse an: Verhaltensforscher feinden Darwinisten an, die menschliches Verhalten auf Gene zurueckfuehren wollen. Auch wenn sich der Vorwurf nicht bestaetigen sollte, zynisch Menschenleben aufs Spiel gesetzt zu haben - mit ihren ultra -darwinistischen Thesen haben sich Neel und Chagnon im Fall der Yanomami zumindest gruendlich blamiert: "Die Yanomami sind eine durch und durch egalitaere Gesellschaft", sagt Herzog-Schoefer, "die haben gar keine Haeuptlinge."
Abgeschiedenes, aber bedrohtes Leben im Amazonasgebiet: Yanomami Foto: AP/Key
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